Bevor du hier weiterliest, hoffe ich doch, dass du bereits Part 1 und Part 2 gelesen hast. 😉

Mimi war eine stolze Mausmama. Sie hatte zehn Kinder und sie kümmerte sich um jedes Einzelne mit viel Liebe und Fürsorge. Denn Mimi liebte alle ihre Kinder. Besonders fürsorglich war sie bei ihrem Kleinsten, Adam.
Adam war ein sorgenfreies Mäuschen. Er hatte nur Unfug im Kopf und deswegen gab Mimi besonders Acht auf ihn. Denn sie wollte nicht, dass er sich verletzte oder sogar Schlimmeres passierte.
Allerdings fand Adam Mimis Fürsorge nur nervig. Er wollte sich frei bewegen, die Welt erkunden und spielen, aber Mimi war ständig dabei, um auf ihn aufzupassen. Er verstand nicht, warum seine Mama ausgerechnet bei ihm so einen Mäuseterz machte.
„Was ist mit meinen Geschwistern? Warum passt du nicht auch auf die so auf?“, fragte Adam eines Tages Mimi.
„Ich passe auf alle meine Babies auf. Aber du bist das Jüngste und du bist zu sorgenfrei. Du machst, wonach dir der Kopf steht. Und, wenn ich nicht auf dich Acht gebe, wer dann?“
„Ich kann selbst auf mich Acht geben“, erwiderte Adam ernst und stemmte seine kleinen Pfoten in die Seite. „Ich brauche dich nicht dauernd um mich, Mama.“
Mimi lächelte, auch wenn ihr das Herz schmerzte von seinen Worten. Sie schaute ihm nach, wie er davon rannte. Er lachte und spielte mit anderen Mäusen. Mimis Herz war schwer.
Wie sollte sie denn nicht auf ihre Babies aufpassen? Wie sollte sie denn nicht ständig Angst haben, dass ihren Babies etwas passiert?
Mimi entschied sich zu ihrer großen Mäusemutter zu gehen. Sie war die Matriarchin der Mäusefamilie und sie wusste immer Rat. Sie hatte schon einiges erlebt und ihre Weisheit war unendlich.
Als die große Mäusemutter Mimi sah, lächelte sie weich. Mimi war eine ihrer vielen Kinder und sie liebte sie wie jedes ihrer Kinder. Darin war sie Mimi sehr ähnlich.
„Mein Kind, was plagt dich?“
Mimi senkte ihren Blick. „Woher weißt du, dass mich etwas plagt, große Mäusemutter?“
„Ich sehe es in deinen Augen.“
Mimi nickte und fühlte sich ganz klein vor der großen Mäusemutter. Sie trat vor, wagte aber immer noch nicht sie direkt anzusehen. Sie hatte Angst, dass ihre Augen noch mehr verraten würden.
„Nun, ich mache mir Sorgen um meine Kinder. Besonders um Adam, meinen Jüngsten. Er ist so sorgenfrei und kennt die Gefahren der Welt noch nicht.“
Die große Mäusemutter hörte genau zu und schaute ernst drein. Nachdem Mimi fertig erzählt hatte, schwieg die große Mäusemutter eine Weile. Sie sagte nichts und war ganz geheimnisvoll in ihren Gedanken versunken.
Dann plötzlich hob die große Mäusemutter ihren Kopf und schaute Mimi direkt in die Augen. Es war ein ernster und einnehmender Blick. Ein Blick, der Mimi ganz tief in die Seele hineinzuschauen schien.
„Mimi, ich weiß, was dein Problem ist. Es ist etwas, mit dem auch ich lange zu kämpfen hatte. Du bist eine gute Mutter und du liebst deine Kinder, aber es kommt eine Zeit, da musst du loslassen. Da musst du all dein Vertrauen und Liebe in deine Kinder setzen und sie ihren eigenen Weg gehen lassen. Ich weiß, das macht dir Angst. Ich weiß, dass du sie nur beschützen willst. Aber das kannst du nicht.“
Mimi schaute die große Mäusemutter ängstlich an. Wie sollte sie das denn machen? Ihre Babies sind ihr Leben.
„Du bist nicht ewig für deine Kinder verantwortlich und, wenn du sie liebst, dann musst du sie loslassen. Sie werden immer wieder zu dir zurückkommen, glaube mir.“
„Aber … aber …“, stammelte Mimi, während sie versuchte es zu verstehen. „Was mache ich denn ohne meine Kinder?“
Die große Mäusemutter lachte. Es war ein dunkles Lachen, das tief aus ihrem dicken Bauch zu kommen schien.
„Nun, mein Kind, ohne deine Kinder bist du immer noch Mimi, oder etwa nicht?“
„Ja, schon, aber …“
„Dann würde ich dir raten, dass du herausfindest, was Mimi ohne ihre Kinder macht. Was macht sie, wenn sie nicht auf ihre Kinder achtet?“
Mimi war sprachlos. Ihre Gedanken rasten, wie ihr kleines Herz. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht. Noch nie hatte sie auch nur gewagt daran zu denken, wie das Leben ohne ihre Kinder war.
Dennoch wusste sie tief in ihrem Inneren, dass die große Mäusemutter Recht hatte. Sie erkannte die Weisheit in ihren Worten. Nun musste Mimi nur lernen, diese umzusetzen.
„Ok“, meine ich verwirrt, als Josefine nicht mehr weiter erzählte. Ich bin mir nicht sicher, was die Geschichte mir sagen sollte. Zögerlich erwidere ich ihren Blick und hoffe, dass sie meine Fragen in meinen Augen erkennt.
Josefines Lippen formen sich zu einem breiten Grinsen. „Magst du die Geschichte nicht? Das kannst du ruhig sagen, wenn es so ist.“
„Nein, ich …“ Ich überlege eine Weile, wie ich es erklären sollte. „Nun, ich glaube, ich verstehe die Geschichte nicht.“
„Was verstehst du denn nicht?“
Für einen Moment denke ich, dass Josefine sich über mich lustig macht. Dass sie denkt, ich wäre dumm, weil ich das gesagt habe. Aber ihre Miene bleibt ernst und eindringlich, ihr Lächeln verständnisvoll.
„Ich verstehe nicht, was sie mir sagen soll.“
„Wer sagt denn, dass diese Geschichte für dich ist?“, hakt Josefine nach. Ihre Augen blitzen frech auf. Ich kann nicht anders als lächeln.
„Ich dachte, es sind Geschichten für mich? Das hast du doch ganz am Anfang gesagt.“
Josefine mustert mich eine Weile mit einem Blick, den ich deuten kann. Ist sie wütend auf mich? Denkt sie ich bin dumm? Denkt sie, ich verdiene es nicht, dass sie mir die Geschichten erzählt? Bereut sie es vielleicht sogar?
Bevor ich etwas sagen kann, beugt Josefine sich vor und tätschelt meine Wange.
„Du bist ein schlaues Mädchen. So schnell kann man dir nichts vormachen, was?“
„Naja, ich …“
„Nimm es an, Pia“, unterbricht Josefine mich. „Nimm das Kompliment an. Es kommt von Herzen.“
Unruhig halte ich inne und versuche das Kompliment zu akzeptieren. Doch es fällt mir schwer.
„Jetzt geht es dir wie Mimi, nicht wahr? Du weißt nicht, was du davon halten sollst, auch wenn du ganz tief in deinem Herzen weißt, dass ich Recht habe. Aber dennoch wagst du es nicht, dich so zu sehen wie andere dich sehen. Du kümmerst sich lieber dauernd um andere. Du machst es anderen dauernd Recht, aber du vergisst dabei, wer Pia wirklich ist. Du vergisst dich, Liebes.“
Stille. Tränen brennen in meinen Augen. Ich wage es nicht, etwas zu sagen, weil ich Angst habe, dass meine Stimme bricht.
Ich weiß, dass sie recht hat. Ich weiß, dass es stimmt und jetzt verstehe ich den tieferen Sinn hinter der Geschichte der überfürsorglichen Mäusemama.
Ich habe zwar keine Kinder, aber ich verhalte mich trotzdem wie Mimi. Ich gebe alles für andere. Egal, wie erschöpft oder ausgelaugt ich bin. Egal, wie es mir gerade geht. Egal, wie gut ich die Person kenne.
Dabei vergesse ich aber mich.
„Ich hab noch eine letzte Geschichte für dich“, sagt Josefine leise. „Aber, wenn du erstmal ein wenig Ruhe brauchst, dann verstehe ich das. Vielleicht möchtest du erst über die anderen Geschichten nachdenken?“
Ich nicke nur, versunken in meinen Gedanken.
Eine Kurzgeschichte gewidmet an meine verstorbene Urgroßmutter Josefine.