Wo? Wer? Warum Barista?
Seit 2,5 Monaten arbeite ich als Barista in Vancouver. Ich persönlich fand es schon immer spannend, irgendwann mal in einem Café zu arbeiten. Man trifft so viele Leute und ich mag Berufe, in denen man was kreiert. Sei es jetzt der Cappuccino oder eine Animation für einen Erklärfilm.
Ja, das habe ich vorher gemacht. Ich habe Filme animiert, editiert und vertont. Ich kann mir vorstellen, dass einige jetzt vielleicht überrascht sind und sich denken:
Wie kommst du als gelernte Filmemacherin zur Barista? Warum machst du nichts Gescheites?
Ich wurde mit diesen Fragen schon konfrontiert. Von Familie, ehemaligen Kollegen, Bekannten oder Fremden. Manchmal steckte wirkliches Interesse dahinter, oft aber schwang ein abwertender Tonfall mit.
Viele sehen das als “Downgrade”, aber ich sehe es als Chance und Möglichkeit, Neues über mich und andere zu lernen. Etwas Neues auszuprobieren und mich den Hürden zu stellen, in einer fremden Sprache Bestellungen aufzunehmen, Smalltalk halten zu können (Urgh, das ist immer noch das Schwierigste. -.-‘ Ich bin echt kein Fan von Smalltalk), Kaffees nach der Vorstellung des Gastes zu kreieren und sich dann zu freuen, wenn dieser sich darüber freut. 😀
Es ist also unglaublich spannend und ich persönlich gehe lieber mit kindlicher Neugierde an Dinge ran, als sie gleich abzuwerten oder schlecht zu machen.
Meine Erkenntnisse als Barista
1. Die Freude und die Qual mit dem direkten Gästekontakt
Ja, das war mal was Neues! Als ehemalige Motion Designern hatte ich so gut wie nie Kundenkontakt. Und als Autorin meidet man jetzt auch eher Menschen … 😀 #introverts
Aber da kommt man nun mal nicht drum herum. Man muss ja schließlich die Bestellung aufnehmen. Hier muss ich gleich mal sagen, dass die meisten Gäste wirklich sehr nett sind. Man lächelt sich an, plaudert ein wenig, dann bedankt man sich und Boom! Fertig! 😀 “Next one, please.”
Vor allem bei einigen Stammgästen geht das immer leichter, weil man irgendwann deren Getränke kennt und ihnen ein noch breiteres Lächeln auf das Gesicht zaubert, wenn man bereits weiß, was sie wollen.
Dann gibt es die Gäste, die sehr schnell ungeduldig werden. Vor allem, wenn man nicht gleich versteht, was sie wollen. Ich wurde auch schon mit der Bestellung angeschrien, als ich nochmal sicher gehen wollte, ob ich alles verstanden habe und nachgefragt habe. Da kam dann laut schreiend die Bestellung mit einem “Und genau das habe ich doch eben gesagt!” am Ende … Ja, ist ja gut. Meine Güte.
Das habe ich daraus gelernt: Nichts persönlich nehmen! Ich versuche in solchen Situationen weiterhin fröhlich zu bleiben, zu lachen und bedanke mich oft für ihre Geduld. Bei den meisten ungeduldigen Gästen legt das tatsächlich einen Schalter um, weil man ihnen keine Angriffsfläche gibt.
2. Respekt und gute Manieren sind das A und O … oder?
Manchmal frage ich mich, wo die Menschlichkeit bei den Gästen hin ist? Haben die die morgens mit dem Stuhlgang runtergespült?
Auch hier gibt es wenige Beispiele, aber es gibt sie. Ich bin jemand, der jeden respektiert und stets freundlich und höflich ist. Auch wenn ich einen schlechten Tag habe, dann bleibe ich trotzdem freundlich an der Kasse und lächle. Denn der Gast kann ja nichts dafür, dass ich gerade im Privatleben Frust oder schlechte Laune habe. Als ich klein war, habe ich gelernt:
Behandle jeden so wie du gerne behandelt werden würdest.
Wollt ihr also, dass ich euch anmotze oder anbrülle? Dass ich den Kopf schüttle, weil ihr schon wieder einen Mocca mit extra Schlagsahne bestellt? Wollt ihr, dass ich euch verurteile, weil ihr meine Sprache nicht gut oder gar nicht sprechen könnt? Wollt ihr, dass ich laut mit Freunden telefoniere und euch keines Blickes würdige, während ich die Bestellung aufnehme? Wollt ihr, dass ich euch in Deutsch antworte und dann wütend werde, weil ihr mich nicht versteht?
Ich könnte mich da jetzt noch weiter reinsteigern und sauer werden, denn wenn ich eines hasse, dann ist es, wenn jemand schlecht oder ungerecht behandelt wird. Intolerantes und ignorantes Verhalten geht einfach nicht.
Das gilt übrigens nicht für die Gäste, sondern auch für die anderen Barista. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass jeden Tag eine ältere Dame in das Café kommt, die erst immer ihren Kaffee mit Schlagsahne und später ihr Eiswasser haben will. Sie läuft etwas gebückt und schwitzt immer stark, wenn sie reinkommt. Außerdem redet sie nicht viel und sagt nur nuschelnd ihre Bestellung.
Ein paar meiner Kollegen verdrehen bei ihr immer die Augen und schauen auf sie hinab. Ich aber lächle sie immer an, bedanke mich und gebe ihr das Gefühl, das sie ein willkommener Gast ist. Ich kann mit Stolz sagen, dass die Dame sich mittlerweile auch freut mich zu sehen und mich sogar schon angelächelt hat! Ha! Ja, über solche Dinge freue ich mich. 😀
Das habe ich daraus gelernt:
Ich werde mich nicht auf die gleiche Stufe mit den unhöflichen und respektlosen Personen stellen. Denn ich bin besser als das. Ich bleibe weiter höflich und freundlich. Lächle sie an und denke mir: Karma is a bitch, sweetheart.
Ja, ganz so selbstlos und nett bin ich dann doch nicht. 😀 Und die Gedanken sind frei! Man darf denken, was man will, hab ich mal gehört. ^^
3. Menschen beobachten als Job aka wie geil ist das bitte?
Also, jetzt mal Hosen runter: Als Schreibheld beobachtet man unglaublich gerne Leute! 😀 Dabei kann man sich so herrlich seine Geschichten im Kopf zusammenspinnen:
Warum verhalten die sich so? Was steckt hinter diesem Lächeln? Was arbeiten die? Wieso tragen die jeden Tag dasselbe Oberteil? Was passiert wohl in deren Leben? Was bewegt sie? Für was brennen sie? Brennen sie überhaupt für irgendwas oder leben sie nur ihr leben?
Und es gibt soooo viel zu beobachten! So viele Geschichten und Charaktere, die täglich das Café betreten und Inspiration mitbringen, wenn man offen dafür ist und seine Neugierde behält. Mich haben schon einige Leute inspiriert. Vor allem auch die anderen Schreibhelden, die täglich in das Café kommen und an ihren Werken arbeiten. Wenn das mal nicht auch motivierend ist. 😀
Das habe ich daraus gelernt:
Endlich kann ich so viele verschiedene Leute bei der Arbeit beobachten. 😀 #stalkermode
Geschichten, die das Barista-Dasein erzählen:
Es kommen also so viele verschiedene Menschen in das Café. Doch die seltsamste Begegnung, die ich bis jetzt hatte, war ein Mädchen mit pink-weißen Haaren und weißen Kontaktlinsen, was ein wenig creepy ist, muss ich gestehen. Sie war super nett und sehr aufgedreht, während ich ihre Bestellung aufgenommen habe. Am Ende hat sich das Folgendes ereignet:
Sie: “Ich mag deine Schönheitsflecken! Ich stehe total auf so was!”
Ich:”Äh … okay. Danke.” #awkward
Sie: “Ja, ich stehe sogar so sehr auf Schönheitsflecken, dass ich sie mir tätowiert habe. Hier auf meinem Bauch. Schau!”
Und sie hob ihr Top und hat mir ihren nackten, weißen Bauch hingestreckt. Darauf befanden sich vier kleine braune Punkte um ihren Bauchnabel verteilt.
Ich brauche euch nicht sagen, wie perplex ich gewesen bin und verwirrt ich sie wahrscheinlich angeschaut habe. Sie hat nur gelacht und dann war sie weg.
Zwei Gedanken sind mir danach und wegen ihr in den Kopf geploppt:
1. Warum sagen wir eigentlich Muttermale? Schönheitsflecken klingt viel hübscher und positiver als “Male”. Das klingt so, als wäre man gebranntmarkt worden. Muttermale hat irgendwie so was Negatives, oder?
2. Wieso würde sich jemand das tätowieren lassen? Und das ist wirklich eine seltsame Leidenschaft mit den Schönheitsflecken. Vielleicht kann ich so was als kleinen Gag in mein Buch einbauen. Das ist eigentlich ziemlich untypisch, aber irgendwie geil.
3. Wie hat wohl der Tätowierer reagiert, als sie zu ihm kam und meinte “Hey, stich mir mal vier Schönheitsflecken in den Bauch!”? Ob sie dafür was zahlen musste? So groß waren die ja nicht.
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